Dschungel in meiner Kindheit

Als Kind war für mich ganz klar, was Dschungel bedeutet: ein wucherndes grünes Dickicht voller Lianen, durch das man sich wie Tarzan schwingt, während rechts eine Anakonda vom Baum hängt und links ein Papagei kreischt: „Achtung, Krokodil!“ Irgendwo zwischen Das Dschungelbuch, Jumanji und dem Film Türkisch für Anfänger formte sich in meinem Kopf ein klares Bild: Dschungel war laut, gefährlich, glitschig, voller Tiere, unübersichtlich – und vor allem: wild.


Meine Suche nach dem Dschungel

Jahre später bin durch viele Länder gereist, immer auf der Suche nach diesem einen, echten Dschungel. Immer mit dem Gefühl: Jetzt aber. Jetzt muss er doch kommen, der Dschungel!

Doch irgendwie kam er nie so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Und ich habe mich gefragt: War ich denn überhaupt schon einmal wirklich im Dschungel?


Australien – Daintree Regenwald

In Australien wanderte ich durch den Daintree Regenwald – laut Wissenschaft einer der ältesten tropischen Regenwälder der Welt. Also eigentlich: der Inbegriff von Dschungel. Doch während ich dort auf gepflegten Holzstegen mit Metallgeländern entlangging, vorbei an Schildern mit den Namen und Erklärungen der Pflanzen, dachte ich nur: „Hm. Eigentlich hätte ich auch in Sandalen kommen können.“

Es gab tatsächlich diese typischen, knorrigen, hölzernen Lianen, wie man sie aus Dschungelbildern kennt – aber dieses überwältigende, undurchdringliche Grün, das Gefühl von wildem Dickicht, fehlte irgendwie. Stattdessen Spinnen und Spinnennetze in der Größe eines Frühstückstellers, die definitiv ekliger waren als in meiner Vorstellung. Ich hätte sie gern mit etwas mehr Sicherheitsabstand gesehen.


Costa Rica – Monteverde & Corcovado

Im Nebelwald von Monteverde wurde es mystisch. Nebel hing zwischen den Moosen, irgendwo rief ein Vogel, es roch nach feuchtem Holz. Aber ehrlich gesagt fühlte es sich eher wie ein sehr schöner, leicht nasser Waldspaziergang mit engagiertem Guide an – voller Artenvielfalt, aber ohne das Gefühl, sich in einer wilden, unberechenbaren Urlandschaft zu befinden.

Der Corcovado-Nationalpark sollte dann das Kontrastprogramm sein: dichter, wilder, voller Tiere.
Und ja – ich habe viele Vögel gesehen, Affen in den Bäumen, sogar eine Schlange und einmal musste man sich leicht durchs Unterholz schlagen. Aber die Wege waren gut begehbar, kein echtes „Durchkämpfen mit Machete“. Keine Lianen, die auf mich warteten, kein Moment, in dem ich dachte: So. Jetzt bin ich mitten im Dschungel. Es war alles wunderschön – aber das echte Dschungelgefühl blieb aus.


Brasilien – Iguazú-Wasserfälle

Dann stand ich an den Iguazú-Wasserfällen mitten im Atlantischen Regenwald. Jetzt! dachte ich. Wenn nicht hier, wo dann?

Die Luft war feucht, das Grün war dicht, Papageien kreischten – genau mein Kopfkino. Bis ich den geteilten Spazierweg mit Geländer, den Kiosk und die vielen „Foto-Spots“ sah, an denen schon Touristen-Schlangen warteten. Koatis wurden von den vielen Besuchern mit Popcorn gefüttert.

Es war spektakulär und atemberaubend – aber nicht der einsame, wilde Dschungel, den ich suchte.


Südostasien – hügelige Wälder der Berg- und Tieflandregenwälder

In Südostasien sah ich überall hügelige Wälder, dichten Bewuchs, aus dem immer wieder Affen hervorspähten. Aber alles wirkte zu sanft, zu lieb – mehr Botanischer Garten mit Mücken als wuchernde Wildnis.


Sri Lanka – Bergregenwald & Savanne

Im Bergregenwald im feuchten Hochland rund um den Adam’s Peak erzählte man mir, hier könne man mit etwas Glück sogar einen Leoparden sehen. Am Ende bekam ich allerdings nur einen Leopardenhintern zu Gesicht, der rasch über die Straße huschte – aber hey, besser als nichts! Insgesamt wirkte die Umgebung eher wie ein gepflegter Naturpark als wie ungezähmter Dschungel (was auch am Nebel gelegen haben könnte, mehr dazu im nächsten Blogbeitrag!)

Während sich im Udawalawe-Nationalpark Jeep-Karawanen um die besten Elefantenfotos stritten, fuhr ich durch offenes Gehölz, Steppe und Savanne. Natürlich war mir klar, dass das hier kein Dschungel ist – aber hey, auf einer Suche muss man ja auch mal was ausschließen können. Haken dran: nicht der Dschungel. 😉


Was Dschungel eigentlich ist

Eigentlich weiß ich es ja besser: Das Wort Dschungel kommt vom Hindi jangal und bedeutete ursprünglich schlicht „Wildnis“. Heute denken wir dabei fast immer an den immerfeuchten tropischen Regenwald – also Wälder, die ganzjährig dicht, immergrün und feucht sind. Typisch ist ein fast geschlossenes Kronendach, das nur wenig Licht bis zum Waldboden durchlässt. Der Wald ist mehrstöckig aufgebaut: über dem Kronendach ragen vereinzelt Baumriesen auf (Emergenten), darunter die dichte obere Baumkrone (Canopy), gefolgt von einer schattigen Schicht aus kleineren Bäumen und Sträuchern. Am Boden selbst ist es feucht und dunkel. Nur wenige Pflanzen sind an diese Lichtverhältnisse angepasst. Diese besondere Struktur schafft einen der artenreichsten Lebensräume der Erde – und genau das Bild, das viele im Kopf haben: Ein Ort voller Leben, mit Affen in den Baumkronen, bunten Vögeln, Reptilien, Insekten und Geräuschen aus dem Dickicht. Dieser „klassische“ Dschungel, wie wir ihn aus Filmen kennen, ist meist der Tieflandregenwald – etwa im Amazonasgebiet, im Daintree Regenwald in Australien oder im Atlantischen Regenwald Brasiliens oder im Corcovado-Nationalpark in Costa Rica.

Mit zunehmender Höhe verändert sich das Bild: In den kühleren, wolkenverhangenen Lagen der Gebirge wird der Tieflandregenwald zu einem Bergregenwald – oft in seiner Nebelwald-Variante, wo sich Wolken und Nebel fast täglich zwischen den Bäumen verfangen. Auch dieser Waldtyp ist immerfeucht und immergrün, doch durch das kühlere Klima und die permanente Wolkenfeuchte wachsen hier andere Pflanzenarten: dichtes Moos, üppige Farne, Flechten und spezielle Bäume, die an diese Bedingungen angepasst sind. Ein Beispiel ist der Nebelwald von Monteverde in Costa Rica, der eine magische, fast mystische Atmosphäre ausstrahlt – optisch aber anders wirkt als der dampfende Tieflanddschungel.

Im Amazonasbecken und anderen tropischen Regionen kommen spezielle Überschwemmungswälder vor, die im Deutschen manchmal ebenfalls als Dschungel bezeichnet werden. Diese Auwälder liegen in den Überschwemmungsgebieten großer Flüsse und werden regelmäßig – teils monatelang – überflutet. Durch die wechselnden Wasserstände entsteht eine ganz eigene Flora und Fauna. Auch diese Wälder gehören zum tropischen Regenwald-Ökosystem – nur unter besonderen Standortbedingungen.


Tropenwald ≠ automatisch Dschungel

Wichtig zu betonen: Tropenwald bedeutet nicht automatisch Dschungel im Sinne von immerfeuchtem Regenwald. In den Tropen gibt es auch andere Waldtypen, insbesondere wo weniger Niederschlag fällt. In Costa Rica zum Beispiel gibt es auch große Gebiete mit tropischem Trockenwald. Solche Wälder haben eine ausgeprägte Trockenzeit, in der viele Bäume ihre Blätter verlieren. Das Kronendach öffnet sich, mehr Licht fällt auf den Boden, und der Wald wirkt lichter und trockener– ökologisch sehr wertvoll, aber eben kein „Dschungel“ im engeren Sinne.

Wenn die Trockenzeit sehr lange anhält, geht der Wald in eine Savannenlandschaft über. In den Tiefländern Sri Lankas beispielsweise finden sich offene Grasflächen mit lichten Gehölzen, die landschaftlich und klimatisch sehr weit entfernt vom feuchten Tiefland- oder Bergregenwald sind. Auch Mangrovenwälder, wie man sie an den Küsten Thailands, den Philippinen oder Florida findet, sind kein Dschungel im klassischen Sinn. Sie wachsen an der Grenze von Land und Meer im Gezeitenbereich tropischer Küsten. Es handelt sich um salztolerante Bäume und Sträucher mit Stelzwurzeln, die Lebensraum für Fische, Krebse und Muscheln bieten


Primär- oder Sekundärwald

Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt darin, ob ein Wald Primär- oder Sekundärwald ist. Primärwald ist unberührter Urwald, der seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden ohne große Eingriffe durch den Menschen besteht – dicht, artenreich und schwer zugänglich. Sekundärwald dagegen entsteht, wenn Wald gerodet oder stark genutzt und anschließend wieder von selbst oder durch Pflanzung neuer Bäume nachgewachsen ist. Er ist meist jünger, lichter und einfacher zu durchqueren als Primärwald.

Der Daintree Regenwald in Australien ist größtenteils Primärwald und gilt als einer der ältesten tropischen Regenwälder der Welt (über 135 Millionen Jahre alt). Trotzdem wirkt er für Besucher erstaunlich zugänglich: Nationalparkverwaltungen haben Stege, Wege und Informationstafeln angelegt, sodass man bequem hindurchspazieren kann ohne die uralte Vegetation selbst stark zu verändern. Die Vegetation ist uralt und unberührt – aber die Erschließung sorgt dafür, dass er sich nicht so wild anfühlt, wie man es von einem „echten“ Dschungel erwartet. Viele andere touristisch zugängliche Gebiete – etwa Teile von Iguazú, Monteverde oder des Black River Gorges National Parks auf Mauritius – bestehen dagegen ganz oder teilweise aus Sekundärwald, der ebenfalls gut erschlossen ist. Das macht diese Wälder sicherer und leichter begehbar, verändert aber auch den Eindruck, den wir mit dem Wort „Dschungel“ verbinden.


Mein Fazit

Wichtig ist die Vielfalt der Tropenwälder zu erkennen: vom klassischen Regenwald („Dschungel“), der die Bilderbuchkulisse für Tarzan-Filme bildet, bis hin zu Nebelwald, Überschwemmungswald, Trockenwald und Mangrove – alle haben eigene Eigenschaften und eine jeweils einzigartige Lebensgemeinschaft.

Ich war also in vielerlei Hinsicht im echten Dschungel – nur nicht in meinem Dschungel aus Kindheitsträumen.
Vielleicht finde ich ihn ja irgendwann im Amazonasregenwald. Vielleicht ist es dort tatsächlich so, wie ich’s mir immer vorgestellt habe. Vielleicht bleibt der echte Dschungel aber auch einfach ein Ort im Kopf – eine Kindheitsfantasie, ein kleines Abenteuer mit Liane und Leopardengeräusch im Hintergrund.


Quellen

  1. Richards, P. W. (1996). The Tropical Rain Forest: An Ecological Study (2nd ed.). Cambridge University Press.
    – Standardwerk zu Struktur, Ökologie und Biodiversität tropischer Regenwälder.
  2. Whitmore, T. C. (1998). An Introduction to Tropical Rain Forests (2nd ed.). Oxford University Press.
    – Einführung in tropische Regenwälder, inkl. Schichtaufbau und geographischer Verbreitung.
  3. Bruijnzeel, L. A., Scatena, F. N., & Hamilton, L. S. (2011). Tropical Montane Cloud Forests: Science for Conservation and Management. Cambridge University Press.
    – Spezialisierte Darstellung von Bergregen- und Nebelwäldern.
  4. Janzen, D. H. (1988). Tropical dry forests: The most endangered major tropical ecosystem. In Biodiversity. National Academies Press.
    – Grundlegende Arbeit zu Trockenwäldern, saisonalem Laubabwurf und Übergängen zu Savannen.
  5. Spalding, M., Kainuma, M., & Collins, L. (2010). World Atlas of Mangroves. Earthscan.
    – Umfassendes Werk zu Mangroven-Ökologie, Verbreitung und Schutz.
  6. FAO (2012). Global Ecological Zones for FAO Forest Reporting. Food and Agriculture Organization of the United Nations.
    – Offizielle Klassifikation und Beschreibung globaler Waldtypen (inkl. Primär-/Sekundärwald).

Julia O.

Biologin und Bloggerin


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